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Kürzlich hat mich All-Access-Mitglied Julius gefragt, was die allerwichtigsten Definitionen seien, die man a) wortlautgetreu beherrschen müsse und sich b) nicht einfach so herleiten könne.
Aus dem Stegreif eine Übersicht mit Vollständigkeitsanspruch zu erstellen, erscheint mir unmöglich, aber irgendwo muss man ja anfangen! 🤷🏻 Deshalb bekommen du und Julius heute die 15 wichtigsten Definitionen aus dem BGB AT, die sich nicht aus dem Gesetz ergeben und somit Wissenselemente voraussetzen.
Ich empfehle dir, die Definitionen tatsächlich genau in dieser Reihenfolge zu lernen. Wenn du very pressed for time bist, würde ich sogar so weit gehen, mich auf die ersten beiden zu beschränken. Die Prozentangaben in Klammern drücken aus, wie groß oder klein die Wahrscheinlichkeit ist, dass dir der Begriff in einer Examensklausur begegnet.
1. Willenserklärung (54,8 %): Eine Willenserklärung ist eine private Willensäußerung, die auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist. Der objektive Tatbestand einer Willenserklärung umfasst Kundgabeakt (= Setzen eines Erklärungszeichens) und Rechtsbindungswillen. Entgegen seiner Bezeichnung wird das Vorliegen des Rechtsbindungswillens objektiv ermittelt. Der subjektive Tatbestand wiederum setzt sich aus Handlungswillen und (auch potenziellem) Erklärungsbewusstsein zusammen. Der Geschäftswille hingegen ist keine Voraussetzung für das Vorliegen einer Willenserklärung; sein Fehlen kann jedoch zur Anfechtung berechtigen.
2. Zugang (32,9 %): Eine Willenserklärung (wohlgemerkt unter Abwesenden) geht zu, wenn sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit ihrer Kenntnisnahme zu rechnen ist. Der Zugang unter Anwesenden ist umstritten. Glücklicherweise kann ich an dieser Stelle aus meinem Buch zitieren:
Mit dem Denken in Extrempositionen lernst du, beide Seiten eines Meinungsstreits durchzuspielen und die widerstreitenden Gegensätze zu einer interessengerechten Lösung zusammenzuführen. Dabei identifizierst du zunächst den strittigen Begriff und skizzierst anschließend ein extrem strenges und ein extrem lockeres Verständnis des Begriffs. Im letzten Schritt argumentierst du, warum ein Mittelweg zwischen beiden Positionen angezeigt ist.
Lass uns die Technik exemplarisch an der Frage anwenden, wann Willenserklärungen unter Anwesenden zugehen.
Strengste Position: Die Erklärung geht nur zu, wenn der Empfänger sie richtig versteht.
Lockerste Position: Die Erklärung geht bereits zu, wenn der Erklärende sie in den Rechtsverkehr entäußert.
Finde die Mitte: Die Erklärung geht zu, wenn der Erklärende nach den für ihn erkennbaren Umständen davon ausgehen durfte, dass der Empfänger sie richtig verstanden hat (sog. eingeschränkte Vernehmungstheorie).
Mini-Streitentscheid: Die eingeschränkte Vernehmungstheorie gewährleistet nicht nur, dass die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden, die das Risiko eines Fehlverständnisses bergen; sie macht rechtlich erhebliche Kommunikation überhaupt erst praktikabel, als sie den Erklärenden davon entbindet, sich beim gewöhnlichen Lauf der Dinge beim Empfänger rückzuversichern.
3. Sittenwidrigkeit (13,3 %): Ein Rechtsgeschäft verstößt gegen die guten Sitten, wenn es nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt.
4. schwebende Unwirksamkeit (12,3 %): Die Wirksamkeit eines Vertrags hängt von der Genehmigung des Vertreters ab (vgl. § 108 Abs. 1 BGB).
5. invitatio ad offerendum (10,6 %): Eine invitatio ad offerendum ist der »Antrag« an einen anderen, seinerseits einen rechtsverbindlichen Antrag im Sinne des § 145 BGB abzugeben.
6. Anscheinsvollmacht (6,5 %): Eine Anscheinsvollmacht liegt vor, wenn der Vertretene zwar keine Kenntnis vom Auftreten des Vertreters in seinem Namen hat, dies bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt jedoch hätte erkennen und vermeiden können.
7. Bote (6,2 %): Ein Erklärungsbote ist eine Person oder Einrichtung, die zur Übermittlung einer fremden Willenserklärung eingesetzt wird (vgl. § 120 BGB) und im Machtbereich des Erklärenden tätig wird; ein Empfangsbote hingegen soll sie an den Empfänger weiterleiten und wird daher in dessen Machtbereich tätig.
8. Offenkundigkeitsprinzip (6,1 %): Das Offenkundigkeitsprinzip besagt, dass eine Erklärung, die für und gegen einen anderen (= den Vertretenen) wirken soll, entweder ausdrücklich im Namen des Vertretenen erfolgen oder sich aus den Umständen ergeben muss, dass sie in dessen Namen erfolgen soll (vgl. § 164 Abs. 1 S. 2 BGB).
9. Positives Interesse (4,9 %): Relevant für den Umfang des zu leistenden Schadensersatzes. Das positive Interesse ist das Interesse, das der andere an der Gültigkeit der Erklärung hat. Der Gläubiger ist so zu stellen, wie er stünde, wenn der andere Teil vertragsmäßig erfüllt hätte – daher auch Erfüllungsschaden genannt.
10. Duldungsvollmacht (4,3 %): Eine Duldungsvollmacht liegt vor, wenn der Vertretene dem als Vertreter Auftretenden keine Vollmacht erteilt hat und auch nicht erteilen möchte, jedoch nicht gegen dessen Auftreten einschreitet, obwohl er davon Kenntnis hat.
11. Negatives Interesse (4,0 %): Wiederum relevant für den Umfang des zu leistenden Schadensersatzes. Das negative Interesse ist auf denjenigen Schaden gerichtet, den jemand dadurch erleidet, dass er auf die Gültigkeit einer Erklärung vertraut hat – daher auch Vertrauensschaden genannt. Der Gläubiger ist so zu stellen, wie er stünde, wenn er den Vertrag gar nicht erst geschlossen hätte. Bei § 122 Abs. 1 BGB etwa in der Höhe auf den Betrag des positiven Interesses begrenzt.
12. Unternehmensbezogenes Geschäft (2,1 %): Auslegungsregel. Ein unternehmensbezogenes Geschäft liegt vor, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass die Willenserklärung für und gegen das Unternehmen (= den Vertretenen) wirken soll, in dessen »Lager« sich der Vertreter befindet (vgl. wiederum § 164 Abs. 1 S. 2 BGB), unabhängig davon, ob der Erklärungsempfänger dies erkennt oder nicht.
13. Kollusion (1,8 %): Tatsächlich einfacher Fall des Missbrauchs einer Vertretungsmacht. Eine Kollusion liegt vor, wenn Vertreter und Vertragspartner bewusst zum Nachteil des Vertretenen zusammenwirken.
14. Geschäft für den, den es angeht (1,8 %): Ein offenes Geschäft für den, den es angeht, liegt vor, wenn der Vertreter dem Vertragspartner zwar zu erkennen gibt, dass er nicht für sich, sondern für einen anderen handelt, nicht aber, wer dieser andere ist. Der Vertragspartner weiß zwar, dass der Erklärende als Vertreter handelt und nicht selbst Vertragspartei werden will; er weiß aber nicht und es ergibt sich auch nicht aus den Umständen, wer sein Vertragspartner wird. Ein verdecktes Geschäft für den, den es angeht, liegt vor, wenn der Vertreter seinem Vertragspartner überhaupt nicht klarmacht, dass er für einen anderen handelt, und dem Vertragspartner die Identität seines Vertragspartners gleichgültig ist. Das wird in der Regel bei Bargeschäften des täglichen Lebens anzunehmen sein.
15. Realakt (1,6 %): Ein Realakt ist eine auf einen tatsächlichen Erfolg gerichtete Willensbetätigung, an die das Gesetz Rechtsfolgen knüpft (tatsächlich einfacher Fall: Übergabe im Sinne des § 929 S. 1 BGB). Realakte sind keine Willenserklärungen, sodass insbesondere die §§ 164 ff. BGB keine Anwendung finden (wohl aber die Regeln über den Geheißerwerb).
Aber um sie auch sicher anwenden zu können – sei es in einer Klausur oder mündlichen Prüfung – braucht es mehr: Übung, Fallbezug und Feedback. Genau dafür haben wir All-Access entwickelt. Vielleicht ist unsere Lernplattform ja das, was dir gerade noch fehlt? Du kannst sie 7 Tage kostenlos testen.
Allzu oft gehen wichtige Angaben aus dem Sachverhalt verloren oder werden nicht richtig verortet. Auch viel Wissen allein behebt diese Probleme nicht. Im Gegenteil: Oft weiß man in der Klausur überhaupt nicht, wohin mit diesem Wissen, oder lässt etwas in sein Gutachten einfließen, für das es gar keinen Anlass gab.
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