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Vor ein paar Tagen hat mein Student Leon eine berechtigte Frage zum eigenständigen Argumentieren gestellt. Damit auch du von meiner Antwort profitieren kannst, erkläre ich in dieser Ausgabe des Newsletters, wie du Schritt für Schritt eine juristische Begründung aufbaust. Die Vorgehensweise, die ich gleich demonstrieren werde, kannst du auf jedes beliebige Rechtsproblem – unabhängig vom jeweiligen Rechtsgebiet – übertragen. Sie sollte neben meinem FEE-Modell und der SAFE-Formel ein weiteres zuverlässiges Tool in deinem Werkzeugkasten werden.
Stell dir folgenden Mini-Fall vor, der sich den Kandidat*innen in der Examensklausur Z I 699 aus August 2021 stellte:
Malermeister K kauft einen Transporter für sein Malergeschäft K e.K.
So weit, so easy. Die Rechtsfrage, die die Kandidat*innen in diesem Zusammenhang beantworten mussten, lautet: Stellt der Kauf des Transporters für K ein Handelsgeschäft dar?
Um diese Rechtsfrage beantworten zu können, bedienen wir uns einer Argumentationsmethode, die ich 100 % vertretbar getauft habe. Bei dieser Methode vergleichst du zwei Fälle miteinander und leitest aus diesem Vergleich Argumente ab.
Zunächst identifizierst du die für die Rechtsfrage maßgebende Rechtsnorm. Das ist in unserem Fall § 343 Abs. 1 HGB: Handelsgeschäfte sind alle Geschäfte eines Kaufmanns, die zum Betriebe seines Handelsgewerbes gehören.
Nun bildest du einen tatsächlich einfachen Fall – einen simplen, superkurzen Sachverhalt. Ich habe mich für den folgenden tatsächlich einfachen Fall entschieden:
Malermeister K kauft Farbe für sein Malergeschäft K e.K.
Natürlich kann dein tatsächlich einfacher Fall ein anderer sein. Das ist nicht der Punkt. Wichtig ist, dass du einen Fall bildest, bei dem du in der Klausur bei der Subsumtion nicht einen Moment zögern würdest.
Wir halten fest:
Deine Aufgabe besteht nun darin, Klausur- und tatsächlich einfachen Fall miteinander zu vergleichen. Vergleiche zielen auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede ab. Diese finden in einer Tabelle mit zwei Spalten Platz. Im Ernstfall nimmst du einfach die Rückseite des ausgeteilten Klausurpapiers quer und ziehst einen Strich durch die Mitte.
Unterschiede, die für die Beantwortung der Rechtsfrage irrelevant sind, klammern wir von vornherein aus (etwa, dass der Klausurfall den Kauf eines Transporters, der tatsächlich einfache Fall den Kauf von Farbe betrifft). Andernfalls wären die Fälle identisch und ein Vergleich unmöglich. Außerdem werden wir – wie du gleich sehen wirst – unseren Korrektor*innen gegenüber nicht offenlegen, dass wir unsere Argumentation rund um einen Normalfallvergleich aufbauen.
So sieht meine Tabelle nach ein paar Minuten konzentrierten Nachdenkens aus:
Mir ist zudem die Auslegungsregel des § 344 Abs. 1 HGB in den Sinn gekommen, wonach die von einem Kaufmanne vorgenommenen Rechtsgeschäfte im Zweifel als zum Betriebe seines Handelsgewerbes gehörig gelten. Die möchte ich in meiner Lösung nicht unerwähnt lassen.
Jetzt bedarf es lediglich ein wenig Geschick (und vor allem Übung!), um die Inhalte meiner Tabelle in einen Fließtext umzuwandeln. Entstanden ist der folgende Lösungsvorschlag.
Michaels Lösungsvorschlag:
Hierzu müsste der Kauf des Transporters für K ein Handelsgeschäft darstellen. Handelsgeschäfte sind alle Geschäfte eines Kaufmanns, die zum Betriebe seines Handelsgewerbes gehören (§ 343 Abs. 1 HGB). Dies erscheint vorliegend fraglich, weil der Betrieb eines Malergeschäfts den Kauf eines Transporters jedenfalls nicht notwendig bedingt. Man könnte sich insofern auf den Standpunkt stellen, dass nur solche Geschäfte eines Kaufmanns, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Betrieb des Handelsgewerbes stehen, als Handelsgeschäfte anzusehen sind (etwa der Kauf von Farbe).
Diese Betrachtungsweise würde jedoch unberücksichtigt lassen, dass auch der Kauf eines Transporters dem Unternehmenszweck dient, und die Anzahl an Handelsgeschäften, die ein Kaufmann abschließen kann, künstlich auf ein Minimum reduziert wäre, legte man einen derart strengen Maßstab zugrunde. Das ist schon nicht mit der Auslegungsregel des § 344 Abs. 1 HGB vereinbar, nach der die von einem Kaufmanne vorgenommenen Rechtsgeschäfte im Zweifel als zum Betriebe seines Handelsgewerbes gehörig gelten.
Für die Einordnung als Handelsgeschäft kommt es vielmehr darauf an, ob der Kaufmann bei Vornahme des Geschäfts auch tatsächlich als Kaufmann auftritt. Diese Annahme wird zusätzlich dadurch gestützt, dass die mit dem Kauf einhergehende Transaktion als Betriebsausgabe abzugsfähig wird.
Möglicherweise ergibt sich ein anderes aber daraus, dass der Transporter nicht nur betrieblich, sondern auch privat genutzt werden kann (sog. Dual-Use-Gut). Allerdings gilt dies gleichermaßen für solche Vertragsgegenstände, die unstreitig zum Betrieb des Handelsgewerbes eines Malergeschäfts gehören (etwa der Kauf von Farbe, Pinseln etc.), sodass insofern keine Differenzierung geboten ist.
Somit stellt der Kauf des Transporters für K ein Handelsgeschäft dar.
Mal unter uns: 👉 Keine Angst! Niemand erwartet in der Klausur derart umfassende Ausführungen von dir – und ich habe nicht einmal alle in der Tabelle aufgelisteten Gemeinsamkeiten und Unterschiede verarbeitet. Das ist unter anderem dem Umstand geschuldet, dass ich nicht den Eindruck hatte, meine Argumentation durch die Erwähnung weiterer Aspekte verstärken zu können. Dieses Gespür gewinnst du nur, wenn du Methoden wie diese regelmäßig trainierst. Überzeugend zu argumentieren, ist also nicht immer gleichbedeutend mit »viel hilft viel«.
✍️ Probier es selbst: Erstelle eine Tabelle zu einem anderen Fall rund um § 343 Abs. 1 HGB und trage die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zusammen. Welchen Standpunkt würdest du vertreten?
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Ich bin davon überzeugt, dass sich sämtliche Rechtsprobleme in deiner Klausur dadurch lösen lassen, dass man auf drei ganz simple Handgriffe zurückgreift. In diesem Video will ich das an einem Beispiel, genauer genommen der gestörten Gesamtschuld festmachen.
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