JNG #263: SAFE-Formel für einen überragenden Streitentscheid in 20 Minuten (Teil 1)

Lesezeit: 4 Minuten

Shoutout an die drei Bootcamperinnen Rabea, Cynthia und Maria: Glückwunsch – ihr seid zur Mündlichen zugelassen, und da werdet ihr auf jeden Fall rasieren. #teambootcamp 😜

Schnell und präzise zu einem fundierten Streitentscheid zu kommen, ist eine der großen juristischen Künste. Heute teile ich daher die ersten beiden Schritte der bewährten SAFE-Formel mit dir, die dir dabei helfen wird, deine Argumente a) effizient zu strukturieren und b) überzeugend zu präsentieren.

Jede Klausur enthält etwas, das ich als alles entscheidende Rechtsfrage bezeichne. Die für die Anwendung der SAFE-Formel benötigten 20–30 Minuten sind genau an dieser Stelle mit dem maximalen ROI investiert. Solltest du den zweistelligen Bereich ins Auge gefasst haben, hast du hier den größten Hebel.

Ob in Prüfungen oder in der Praxis – die Fähigkeit, effektiv zu argumentieren und präzise zu entscheiden, ist unerlässlich. Mit der SAFE-Formel wirst du deine Argumente mit einer Klarheit und Überzeugungskraft präsentieren, dass deine Korrektor*innen beeindruckt sein werden.


Schritt 1: Sammeln der Meinungen

Zu Beginn ist es wichtig, die für das Rechtsproblem relevanten Meinungen zu identifizieren. Hierbei geht es darum, die aus dem Studium bekannten Ansichten effektiv zu nutzen, sich diese zu erschließen oder eigenständige Lösungsansätze zu entwickeln. Das Ziel ist es, die Argumente schnell zu erfassen und in eine übersichtliche Struktur zu bringen, die dir hilft, den Überblick zu behalten. Eine Tabelle mit wenigstens zwei Spalten erfüllt diese Anforderungen. Darin kannst du Pro- und Contra-Argumente, Gemeinsamkeiten und Unterschiede von deinem Klausurfall zu einem tatsächlich einfachen Fall oder Extrempositionen gegenüberstellen.

Um die praktische Anwendung der Formel noch anschaulicher zu machen, werden wir auf eine Rechtsfrage zurückgreifen, die alle vier Schritte illustriert:

Hat der Käufer einer mangelhaften Sache einen Anspruch aus § 439 Abs. 2 BGB auf Erstattung der Kosten, die ihm für die Beauftragung eines Sachverständigen zur Ermittlung der Mangelursache entstanden sind?

Für den ersten Schritt der SAFE-Formel, »Sammeln der Meinungen«, im Kontext des vorgegebenen Rechtsproblems, könnte das wie folgt aussehen:

👉 Deine Tabelle, die nicht mehr als ein Argumente-Schmierzettel sein sollte, muss keinesfalls den oben dargestellten Umfang erreichen. Die Darstellung erfolgt hier nur zu Zwecken der Übersichtlichkeit in dieser Breite und Tiefe.


Schritt 2: A
nalyse der Argumente

Nachdem du die verschiedenen Meinungen strukturiert hast, ist es Zeit, sie gründlich zu analysieren. Um das effektiv zu tun, kannst du folgende Kriterien beachten und mit der Zeit einen eigenen Kriterienkatalog entwickeln:

  1.  Rechtliche Grundlagen: Überprüfe, ob die Argumente auf gesetzlichen Bestimmungen oder etablierten Rechtsgrundsätzen basieren. Argumente, die ihren Ursprung direkt in Gesetzen oder richterlicher Rechtsfortbildung nehmen, haben von Natur aus ein stabileres juristisches Fundament.
  2.  Belastbarkeit: Analysiere, ob die Argumente in sich konsistent sind und keine inneren Widersprüche aufweisen. Ein stichhaltiges Argument sollte logisch nachvollziehbar sein und nicht die Richtigkeit der eigenen Ansicht voraussetzen.

Die Belastbarkeit ist nur eine von fünf Anforderungen, die an jede systematische Argumentation zu stellen sind. In meinem Videokurs Systemverständnis stelle ich dir alle vor – natürlich gestützt durch praxisnahe Beispiele.

  1.  Wegweisende Leitentscheidungen: Sind dir Fälle bekannt, in denen Gerichte die jeweilige Ansicht unterstützt oder sich ihr gerade nicht angeschlossen haben? Historische Urteile können zumindest ein starkes Indiz für die Überzeugungskraft eines Arguments enthalten.
  2.  Relevanz und Aktualität: Berücksichtige die Aktualität der Argumente. Meinungen, die auf neueren Entwicklungen oder jüngsten Gesetzesänderungen basieren, können relevanter sein als solche, die auf geschichtlich veralteten Umständen beruhen. So lässt sich etwa der Umfang der Mittel im Rahmen des § 110 BGB nicht sinnvoll vor Einführung des Euro bestimmen.
  3.  Klarheit: Beurteile, ob die Argumente transparent sind. Verständlich artikulierte Argumente, die komplizierte Sachverhalte einfach darstellen, sind oft wirkungsvoller als gestochenes Blabla à la sinnstiftende Überdetermination. If you confuse, you lose.

Indem du jedes Argument anhand Kriterien wie dieser bewertest, kannst du besser einschätzen, welche Ansichten juristisch stichhaltig sind und welche eventuell Schwachpunkte aufweisen. Diese kritische Bewertung ist entscheidend, um später zu einem fundierten Lösungsvorschlag für das Problem zu gelangen.

Für den zweiten Schritt der SAFE-Formel, »Analyse der Argumente«, im Kontext des vorgegebenen Rechtsproblems, könnte das wie folgt aussehen:

👉 Und nein, das bedeutet nicht, dass du in der Klausur eine solche Tabelle erstellen musst oder gar solltest. Ich würde es dir jedoch vorübergehend zu Übungszwecken für dein regelmäßiges Falltraining empfehlen. Je häufiger du derart penibel vorgehst, desto mehr automatisierst du dein Denken in diesem Bereich.

 

⏯️ Das war Teil 1. Hier in Teil 2 gibt es ein kurzes Recap, und wir formulieren gemeinsam einen überragenden Streitentscheid zum oben skizzierten Rechtsproblem. Nicht verpassen – wird gut!

 

Aktuelles YouTube-Video

Wir sind uns darüber einig, dass die Grundrechte der wichtigste Eckpfeiler eines jeden Rechtsstaats sind. Bei der Frage, ob auch ausländischen juristischen Personen mit Sitz innerhalb der EU ein solcher Schutz gewährt werden sollte, stehen jedoch allgemeine Dogmatik und Diskriminierungsverbot im Konflikt. In diesem Video-Podcast untersuchen wir daher, wie eine Ausweitung der Grundrechtsgeltung auf ausländische juristische Personen innerhalb der EU ermöglicht werden kann (I.) und ob sich ein solcher Schutz auch im Zusammenhang der Deutschengrundrechte erreichen lässt (II.).

Europarecht-Crashkurs: Alles zum europarechtlichen Diskriminierungsverbot

 

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